Charlotte Rolfes. Freiberufliche Regisseurin.
Charlotte Rolfes studierte 2008 bis 2016 Regie an der internationalen Filmschule Köln und im Masterstudiengang an der Hamburg Media School. Ihre Kurzfilme, die sie im Rahmen des Studiums gedreht hat, liefen weltweit auf Festivals, u.a. dem Max-Ophüls Festival, dem Clermont-Ferrand Short Film Festival, dem Short Film Tiger der Filmfestspiele Cannes, sowie auf den Hofer Filmtagen.
2017 wurde sie Mentee bei „Into the Wild“, einem Mentoring-Programm für junge Filmemacherinnen. 2020 absolvierte sie eine Ausbildung zum Schauspiel-Coach nach dem Andersson-System.
Seit 2017 dreht sie als freischaffende Regisseurin Serien und Filme, darunter FRAU JORDAN STELLT GLEICH, TATORT und die ARD Serie WER WIR SIND. In ihren Regiearbeiten interessiert sie sich besonders für unangepasste Frauenfiguren, subtilen Humor und einen Blick hinter die Fassade. 2025 wird ihr zweiter Köln Tatort COLONIUS ausgestrahlt, den sie im Frühjahr 2024 im siebten Monat schwanger gedreht hat.
Charlotte Rolfes Webseite.
Charlotte Rolfes Agentur: Birnbaum und Frame Management.
Lass uns mit Deinem persönlichen Hintergrund beginnen. Kannst Du ein bisschen von Dir erzählen?
Ich bin zwischen Bielefeld und Hannover mitten im Nirgendwo aufgewachsen. Meine zwei jüngeren Brüder wollten Fußball-Profis werden, ich relativ früh „Hauptsache zum Film“.
Wie hatten Deine Eltern die Erwerbs- und Familienarbeit aufgeteilt, und hat Dich das beeinflusst als Du selber Kinder bekamst?
Ich glaube was mein Berufsleben bis heute prägt ist, dass Geld nicht die größte Rolle gespielt hat. Meine Eltern hatten mal viel, dann wieder wenig Geld. Mein Vater hat sich als mein jüngster Bruder auf die Welt kam, ein Jahr frei genommen und sich danach für seine Selbstständigkeit entschieden. Für uns Kinder machte das wenigere Einkommen gefühlt keinen großen Unterschied. „Papa sein“ und „Unabhängigkeit“ waren für meinen Vater wichtiger als den großen Familienurlaub. Meine Mutter hat sich derweil für mehr Sichtbarkeit der klassischen Hausfrauen-Aufgaben bzw. dem „Familien-Management“ eingesetzt und dazu Zeitungs-Artikel geschrieben. Sie war hauptberuflich aber „nur“ Mutter und hat uns jeden Mittag mit einem warmen Essen empfangen. Ich glaube beide Haltungen prägen mich noch heute.
Und wie kamst Du zur Filmbranche?
Ganz klassisch. Mit einem großen Traum im Gepäck hab ich nach dem Abitur 100 Blindbewerbungen an Sender und Produktionsfirmen geschrieben und mich als Kabelhilfe beworben. Drei Film-Praktika später war ich bereits Set-Requisiteurin bei einem Kinofilm. Darauf folgte das Regiestudium an der ifs in Köln, was mich zwar in meinem Berufswunsch bestärkt hat, ich aber danach nicht die nötige Chuzpe hatte, mich auch als Regisseurin nach außen zu verkaufen. Ich war ja auch erst 25 und hatte überhaupt nicht das Gefühl „fertig“ zu sein. Also ging ich wieder zurück ans Set (musste ich auch, um Geld zu verdienen) und wurde erstmal Schauspiel-Coachin für Kinder und Jugendliche. Mit 28 bin ich dann an die Hamburg Media School für den Masterstudiengang Regie. Wieder eine intensive und lehrreiche Zeit, aber danach hatte ich immer noch nicht genug Selbstvertrauen oder den nötigen Wind unter den Armen. Es ergaben sich aber 2017 noch viel weniger Chancen für Regie-Absolventinnen.
Nach meinem Abschluss an der Hamburg Media School habe ich am Mentoring-Programm „Into The Wild“ teilgenommen. Das hat mir sehr geholfen und vor allem auch die Augen geöffnet dafür, dass es anderen Frauen GENAUSO ging wie mir: Top ausgebildet, aber ständig an sich selber zweifelnd und ohne den nötigen Rückenwind von außen. Das Gefühl nicht alleine damit zu sein, hat irre viel ausgemacht sich ab sofort anders nach außen zu präsentieren. Und dann wurde zum Glück auch die Pro Quote Regie immer lauter. Gegen mein Impostor-Syndrom hab ich 2020 noch eine zweijährige Ausbildung zur Schauspiel-Coachin bei Sigrid Andersson absolviert. Seit dem wird es besser.
Du hast nach Kurzfilmen und Serien zwei Fernsehfilme inszeniert, beides Tatorte, also direkt das bestbezahlte, einschaltquotenstärkste Fernsehformat. Herzlichen Glückwunsch! Wie kam es dazu?
Ich glaube ausschlaggebend für die erste Anfrage von Jan Kruse (Produzent der Bavaria und des Kölner Tatorts) waren tatsächlich die drei Folgen SOKO HAMBURG die ich 2021 gedreht habe. Ich vermute Jutta Lieck-Klenke, die damalige Produzentin der Network Movie, hat da ein gutes Wort für mich eingelegt… Darüberhinaus muss man sagen, dass Kruse zu den wenigen Produzenten gehört, die jungen Regisseur*innen eine echte Chance geben.
Bei Deiner ersten Auftragsproduktion hattest Du ein kleines Stillkind. Bei Deinem zweiten Tatort warst du im 7. Monat schwanger. Wie lief das?
Also erst mal muss man sagen, dass ich vor meiner ersten Schwangerschaft weit davon entfernt war, als Regisseurin wirklich Geld zu verdienen. Ich hielt mich mit Drehbuchförderungen, Low-Budget Produktionen und kleinen Demo-Tape Jobs über Wasser. Als ich mit meinem ersten Kind schwanger wurde, kam unverhofft die erste kommerzielle Regieanfrage, die sich natürlich direkt mit dem Geburtstermin überschnitt.
Mein erster Regie-Job war dann die 2. Staffel der Webserie AUSGEBREMST von und mit Maria Furtwängler, da war mein Sohn sieben Monate alt. Einen Still-Trailer zu verhandeln war mit Maria natürlich kein Problem und es war auch klar, dass mein Freund mit nach München anreist für den gesamten Dreh. Genauso hab ich es kurze Zeit später auch bei der Soko Hamburg gemacht. Mein Freund hat mir meinen Sohn da noch einmal am Tag zum Stillen gebracht, ansonsten hab ich nur noch nachts gestillt. Mir selber Ruhepausen zu verhandeln hatte ich damals bei beiden Projekten noch nicht so drauf, sondern wollte mir und allen lieber beweisen, dass junge Mütter krasse Superheldinnen sind, die weder Schlaf noch einen Stuhl oder Extra-Pausen brauchen… schön blöd!
Im April 2024, beim Dreh von meinem zweiten Köln Tatort COLONIUS und im 7. Monat schwanger, konnte ich das mit den Pausen schon sehr viel besser managen. Ich hatte auch einen Trailer/Raum, den ich in der Mittagspause für 30 Minuten sehr geschätzt und gebraucht habe. Einfach um mal richtig die Füße auszustrecken und einmal in den Bauch zu fühlen, ob alles okay ist. Außerdem hatte ich zum ersten Mal einen Regie-Stuhl / Barhocker, normalerweise sitze ich am Set nie. Da mein Freund und ich nicht mehr gleichzeitig arbeiten, musste ich mir um die Versorgung meines großen Sohnes keine Sorgen machen.
Aber natürlich ist es eine besondere Situation schwanger zu drehen. Wir hatten einige anstrengende Nachtdrehs in der Kälte und im Freien und mein Anspruch an eine Szene ist ja genauso anspruchsvoll, wie nicht schwanger. Heißt es waren lange und aufregende Drehtage.
Ich war dankbar und auch ein bisschen überrascht, als die letzte Klappe fiel und ich während der Drehzeit nicht einmal „Bauchweh“ hatte und drehen hochschwanger so gut klappte. Ich glaube zwar schon, dass ich meine Kräfte gut einschätzen kann, aber egal wen man vorher um eine Einschätzung bittet (Frauenärztin, Hebamme, Kolleginnen), alle sagen: Es ist ein krasser Druck und eine Schwangerschaft unpredictable, geh lieber davon aus, dass es nicht klappt.
Wie waren die Reaktionen der Produzent:innen und der beteiligten Filmschaffenden? Gab es auch negative Stimmen oder generell Unterstützung?
Mir war super wichtig von Anfang an mit offenen Karten zu spielen. Ich wollte erst gar nicht in eine Drucksituation kommen und das Gefühl haben, was beweisen zu müssen. Also erzählte ich dem Produzenten von der Schwangerschaft, da war ich noch nicht mal in der 12 Woche. Jan Kruse hat keine Sekunde zu lang gezögert, bevor er „Herzlichen Glückwunsch“ gesagt hat. Und da ich ja auf Rechnung arbeite, gibt es ja faktisch für ihn auch kein Problem. Und so war es fast „normal“ miteinander zu arbeiten, außer höflich nachzufragen wie es mir geht, war meine Schwangerschaft fast kein Thema mehr.
Aber ich musste schon selber dafür einstehen, meine Pause einzuhalten und auch das Nachtpensum möglichst gering zu halten. Klar waren alle im Team rücksichtsvoll und unterstützend, aber letztlich bin ich als Rechnungsstellerin auch allein verantwortlich. Wenn ich auf Lohnsteuer arbeiten würde, hätte ich zwar die gesetzlichen Mutterschutzrichtlinien auf meiner Seite, aber was hätte ich dann dieses Jahr drehen können, außer reine Studio-Produktionen mit 8 Stunden Drehtagen – also Weeklies?
Ich wünsche mir eigentlich einen Weg dazwischen. Es hat sich schon manchmal schwierig angefühlt, sich an so gar keine Mutterschutz-Richtlinie zu halten und immer selbst zu entscheiden, was geht und was nicht. Auf der anderen Seite hab ich den Film von Anfang bis Ende wahnsinnig gerne gedreht und ich wäre super sauer gewesen, wenn ich aufgrund von Mutterschutzrichtlinien nicht „gedurft“ hätte.
Ich habe leider keine Ahnung was wirklich passiert wäre, wenn ich ausgefallen wäre. Hätte mein Back-Up, eine Regie-Kollegin, dann meine Gage bekommen und ich nichts mehr? Das ist alles ungeklärte Fragen auf die es noch keine Antworten gibt, weil „schwangere Regisseurinnen“ noch nicht wirklich oft vorkommen.
Dann wäre es vermutlich wie Geteilte Jobs abgerechnet worden?
Wahrscheinlich, ja.
Wie kriegt Ihr, Du und Dein Partner, die Vereinbarkeit hin?
Welche Vereinbarkeit? Mein Freund ist Beleuchter. Das ist noch schlechter vereinbar als Regie, weil er ja quasi nur am Set arbeitet. Ich kann mir zumindest die Vorproduktion und Postproduktion einigermaßen familienfreundlich einteilen, so dass man sich morgens und abends wenigstens kurz sieht.
Letztes Jahr nach meiner Serie WER WIR SIND hat mein Freund einen Kinofilm angenommen, während ich im Schnitt war. Das war eine Vollkatastrophe. Für mich, für ihn und letztlich für unseren Sohn. Das machen wir nie wieder, auch wenn das bedeutet, dass wir weniger verdienen.
Ich würde mir total wünschen, dass geteilte Arbeitsmodelle auch für Beleuchter*innen in Zukunft möglich werden. Denn wenn ich nicht arbeite, können wir uns unser Leben in einer Stadt wie Köln kaum leisten, es sei denn mein Freund wäre das ganze Jahr drehen und eigentlich nie zu Hause.
Heißt wir versuchen es so zu managen, dass ich ein Projekt pro Jahr drehe und er den Rest der Zeit dreht.
Habt Ihr Verwandte in der Nähe, also Eltern oder Geschwister, die Euch notfalls unterstützen können?
Wir wohnen um die Ecke von meinen Schwiegereltern, wo unser großer Sohn mindestens einmal die Woche zu Besuch ist. Das hilft natürlich schon, allerdings improvisieren wir eigentlich fast immer, wenn wir mal Betreuungsengpässe haben. Da müssten wir uns viel professioneller aufstellen.
Wie wird es jetzt mit zwei Kindern weitergehen?
Ich habe mir drei Monate frei genommen und mache danach den TATORT fertig, damit er pünktlich auf dem Kölner Filmfest seine Premiere feiern kann. Und für 2025 überlege ich gerade welches Projekt am besten passt.
Wenn Du ein neues Projekt beginnst, interessierst Du Dich für die Familien(-verpflichtungen) Deiner Teams?
Ja ich interessiere mich da sehr für, nicht nur weil ich mich gerne mit anderen Müttern und Vätern darüber austausche, auch weil ich es essentiell wichtig finde „das Familienleben im Hintergrund“ sichtbarer zu machen. Warum nicht auch mal eine Regie-Klappe feiern, wo auch alle Kinder der Teammitglieder eingeladen sind und es eine Hüpfburg gibt oder eine kleine Zirkus-Show im Nebenraum – die „Erwachsenen“ können sich ja trotzdem auf der LKW-Rampe ein Bierchen zischen…
Du warst Vorbild für eine Mitarbeiterin, die sich jetzt vorstellen kann, Regisseurin mit eigener Familie zu werden.
Ja. Bei einem Dreh erzählte mir am letzten Drehtag eine Set-Praktikantin Anfang 20, dass sie gerade überlegt Regie zu studieren, aber bis dahin gedacht hat, dass sie dann keine Familie haben könnte. Ich hatte meinen Sohn öfter am Set und nahm ihn nach dem Stillen auch mal mit vor den Monitor in der Trage. Dieses Bild hatte sie anscheinend total beruhigt, so dass sie wieder entschlossen ist Regisseurin zu werden. Für sie ein Vorbild gewesen zu sein, macht mich natürlich stolz und glücklich.
Machst Du sonst etwas, dass anderen Frauen hilft, so wie Du schwanger oder mit kleinem Kind arbeiten zu können?
Generell könnte und würde ich gerne mehr tun, um bei einer Produktionsfirma auf mehr Vereinbarkeitsmaßnahmen hinzuwirken. Einfach mal einen Tag Pause nach einer langen Woche mit Nachtdrehs zum Beispiel. Das hatten mein Regieassistent und ich beim letzten Projekt ebenfalls gefordert und auch bekommen, aber letztlich haben da alle einen Urlaubstag reingedrückt bekommen, so weiß ich gar nicht so genau, ob dies für alle ein Gewinn war.
Das Problem ist natürlich, dass mich die Betreuungsprobleme oder familiäre Gründe der meisten Teammitglieder gar nicht direkt erreichen. Man sagt einen Job zu und steht, wie wir es gewohnt sind, voll zur Verfügung, oder man sagt den Job ab. Es braucht also vielmehr angstfreie Räume für „familiäre Situationen“ VOR Vertragsschluss, damit sie auch mit allen Beteiligten – also auch mir – besprochen werden.
Einen Familientag finde ich eine tolle Idee um generell die Sichtbarkeit zu stärken. Bei meinem letzten Dreh war zufällig der jährliche Boys-/ Girls-Day und da waren plötzlich zwei, drei Schüler*innen am Set. Ich fand das super und es ist ja längst überfällig, dass sich die Gewerke am Set transparenter nach außen präsentieren, damit uns der Nachwuchs nicht vollends flöten geht.
Ansonsten achte ich darauf Frauen über 50 Jahren am Set zu haben. Ich sehe es einfach nicht mehr ein an einem Drehort nur von älteren Männern umgeben zu sein. So ein Drehtag ist eine intensive Zeit mit viel zwischenmenschlichem Austausch und viel Lernen voneinander, da dürfen erfahrene Frauen nicht fehlen!
Filmhandlungen können inspirieren und Filmfiguren Vorbilder sein. Fällt Dir spontan eine deutsche Film- oder Fernsehproduktion ein, in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf – egal ob Kinder oder ältere Angehörige – zentral oder am Rande auf eine gute Art dargestellt wird?
Ich habe bisher leider weder zu WORKING MUMS oder den BREEDERS ein schönes Pendant aus Deutschland gesehen. FLEISHMAN IS IN TROUBLE war mein letztes Highlight zum Thema.
Du interessierst Dich in der Arbeit besonders für „unangepasste Frauenfiguren“. Würdest Du Dich selbst als unangepasste Filmschaffende bezeichnen?
Ich glaube dass ich selber gar nicht behaupten würde, dass die Frauenfiguren die ich entwickeln oder inszenieren darf unangepasst sind, das passiert mir eher im Drehbuchprozess oder während der Proben. Vielleicht aus meiner eigenen Sehnsucht heraus, selber viel unangepasster sein zu wollen. Ich fürchte, dass ich persönlich ziemlich lange Zeit damit verbracht habe, mir selber und allen anderen zu beweisen, dass ich sehr gut in das System Film passe. Heißt, ich habe mich bemüht zu zeigen, was für eine tüchtige und belastbare Regisseurin ich bin. Jetzt erst komme ich dahinter, dass Leichtigkeit im Beruf mehr wert sein kann als die Zähne zusammen zu beißen. So findet man nämlich auch die Systemfehler und kann etwas verändern. Und was ich mir bewahre ist, Stoffe nach der Vielschichtigkeit der Figuren und Themen auszuwählen und mich jedes Mal zu fragen, ob der Stoff wirklich zu mir und meiner Arbeitsweise als Regisseurin passt.
Und zum Schluss ein Ausblick: wohin sollte sich die Filmbranche bestenfalls entwickelt haben wenn Deine Kinder Anfang 20 sind und womöglich einsteigen wollen?
Maximal gleichberechtigt auf allen Ebenen: 1. der Macht, 2. des Geldes (Stichwort Pay-Gap), 3. Sex und seinen Konsequenzen (also Kinderbetreuung) 4. maximal divers.
Und natürlich inhaltlich so interessant, dass auch in Zukunft junge Menschen Bock haben neue, coole Geschichten und Formen zu entwickeln und erzählen.
Liebe Charlotte, ganz vielen Dank für das schöne Gespräch – Dir alles Gute für die nächste Zeit!
Die Fotos auf dieser Seite stammen von den Dreharbeiten zum Köln Tatort COLONIUS 2024. ©Sandra Stein.